Ein-Stunden-Gebet für die Ukraine am „Tag der Kreuzesweihe“ der Academie Kloster Eberbach

am 2. April 2022 per Zoom in Kooperation mit den evangelischen und katholischen Dekanat Wiesbaden

Begrüßung (Marcus Lübbering)

Aus Psalm 55 (Klaus Hamburger)

Vernimm, o Gott, mein Beten;

verbirg dich nicht vor meinem Flehen!

Achte auf mich, und erhöre mich!

Unstet schweife ich umher und klage.

 

Mir bebt das Herz in der Brust;

mich überfielen die Schrecken des Todes.

Furcht und Zittern erfassten mich;

ich schauderte vor Entsetzen.

 

Da dachte ich: Hätte ich doch Flügel wie eine Taube,

dann flöge ich davon und käme zur Ruhe.

Weit fort möchte ich fliehen,

die Nacht verbringen in der Wüste.

 

An einen sicheren Ort möchte ich eilen

vor dem tobenden Sturm.

Zu Gott will ich rufen,

der Herr wird mir helfen.

 

Am Abend, am Morgen, am Mittag seufze ich und stöhne;

er hört mein Klagen.

Er befreit mich, bringt mein Leben in Sicherheit,

wenn es auch viele sind, die gegen mich angehen.

 

Wirf deine Sorge auf Gott, er hält dich aufrecht!

Er lässt den Gerechten niemals wanken.

Gewalttätige und Betrüger haben keine Zukunft.

Ich setze mein Vertrauen auf dich.

 

Gedanken zum Kreuz (Dekan Klaus Nebel)

In die Stille hinein: LESUNG (Lk, 76-79)

Lesung aus dem Lobgesang des Zacharias im ersten Kapitel des Evangelium nach Lukas

Du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heißen;

denn du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten.

Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heils beschenken

in der Vergebung der Sünden.

Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes

wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe,

um allen zu leuchten,

die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes,

und unsere Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens.

 

Woher kommt das Böse? (Dekan Dr. Martin Mencke)

 

unde malum oder: woher kommt das Böse

 

Wir reiben uns die Augen.

Wachen auf, wie aus einem Traum.

Lange dräute es zwar, aber dass der 24. Februar 2022 kommen würde?

Wer hat konkret damit gerechnet, wer sich darauf vorbereitet, wer eine richtige Antwort parat?

 

Dass Krieg und Gewalt nicht von der Erde verschwunden sind, das haben wir mitbekommen. Selbst wir Menschen im sicheren und satten Deutschland.

Aber die Kriege auf dem Balkan, in Kuweit, im Irak, in Afghanistan, in Syrien, Lybien oder Mali waren oder sind so weit weg. Sie finden statt in einer Welt, die von der unseren irgendwie sorgsam getrennt ist.

Erst jetzt scheint es uns wie Schuppen von den Augen zu fallen, dass die Möglichkeit des Krieges auch bei uns besteht. Dass Waffen bellen in Europa.

Und die allgemeine Zuschreibung scheint klar: in Putin zeigt sich falsches, ja böses Handeln.

Und die Frage scheint schon beantwortet, dass sich in ihm auch „das Böse“ zeigt, wenn ihm der Prozess gemacht werden soll für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, das Brechen von UN-Recht und allem, was wir derzeit (noch aus sicherer Ferne) beobachten und wahrnehmen müssen.

 

Aber was es ist, dieses Böse? Warum und wie liegt es als Möglichkeit am Grunde der menschlichen Seele?

Was kann in eine Menschenseele gelangen, damit sie böse wird?

Nicht umsonst fragen junge Eltern bei der Taufe, wieso diese denn eigentlich „nötig“ sei, ihr neugeborenes Kind sei doch unschuldig, so unschuldig, frei von Sünde, wie doch nur wenig sonst auf dieser unserer Welt.

 

Es regt sich damit eine Frage, die nicht erst jungen Eltern im abgeklärten Europa des jungen 21. Jahrhunderts kommt.

Und wir spüren dem nach, schauen in unserer Tradition, dem Wissen der Mütter und Väter. Rufen die großen Geschichten auf, die uns etwas erzählen wollen über uns selbst, über uns als Menschen, die Wahrheit als Mythos erzählen, als überzeitliche Wahrheit.

Es dabei nicht darum, warum es auch Übel gibt auf der Welt. Stürme, Erdbeben, Katastrophen.

Auch nicht, ob es so etwas gibt wie „den Bösen“, den Satan.

Sondern wie das Böse in die Welt, wie es in den Menschen kommt. – –

Früh schon taucht in der Bibel ja die Frage auf, wie das Böse in die Welt, in den Menschen kommt.

Und es taucht zunächst auf in der Fähigkeit zur Unterscheidung von gut und böse, eine Fähigkeit, die eigentlich Gott zukommt.

 

Gen 3, 1-7

 31Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? 2Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; 3aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! 4Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, 5sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

6Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. 7Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.

Welche Rolle die Schlange hat? Warum Gott auch sie gemacht hat? Was es mit dem Auftun der Augen zu tun hat und er Scham, die aus der Nacktheit entspringt?

 

Ein Text, der so reich ist wie tief. Der aber davon spricht, dass die Begrenzung etwas ist, das zu schaffen macht. Dass eine Neugier hinzutritt. Nicht nur bei dem zu bleiben, was ist. Sondern darüber hinauszugehen.

Dorothee Sölle wagte die Frage zu stellen, wo wir denn wären als Menschen, wenn es die Eva nicht gegeben hätte, wenn sie den Überschritt nicht gewagt hätte. Ob wir dann immer noch im Paradies wären, aber auf den Bäumen säßen, relativ satt, aber nackt und naiv?

Also Schluss mit der sich durch die Geschichte ziehenden Stigmatisierung der Eva.

Einerseits.

Andererseits: was deckt diese Erzählung denn an uns Menschen auf? Dass die Grenze uns herausfordert, wir darüber hinaus wollen, Mann wie Frau.

Wer Kinder hat und versucht hat, sie zu erziehen, kennt die Versuchung, die bei den ganz kleinen dadurch entsteht, dass etwas nicht erlaubt, etwas entzogen ist. Für unseren Ältesten war es die Blumenerde in Zimmerpflanzen. Nichts reizvoller, als sie vom Topf auf den Boden zu befördern, wo die Eltern doch klar gesagt hatten: Nein. Nicht für dich. So eine Grenze fordert heraus. Reizt zum Übersprung.

Und dass Gott gesagt hat: Nein? Bei Eva: Erkennen wollen. Gut und böse und noch so viel mehr.

Ist das böse? Nicht zugleich auch Fortschritt? Antrieb und Keimzelle der menschlichen Entwicklung?

Nur ein Kapitel später fällt ein anderes Licht auf uns Menschen. Von Kain wird erzählt und von Abel.

(Gen 4)

 Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.3Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 8Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.

9Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel?

Tiefste Kränkung. Warum der Unterschied?

Was habe ich, Kain, denn getan?

Zu kurz gekommen, nicht beachtet, keine Rolle gespielt.

Und dann der Ausbruch der Wut, die Gewalt – und wir schauen dem Bösen frontal ins Gesicht.

Woher es kommt, das Böse? In uns Menschen?

Eindeutig schreibt die Bibel es nicht zu. Nimmt wahr, dass es da ist.

In uns Menschen, jedem von uns.

Lauert vor der Tür, selbst wenn ich fromm bin.

Will mich über mich hinaus erhöhen.

Vergleicht mich mit anderen.

Verknüpft sich mit meinem Temperament, dem Zorn.

Und dann … wehe!

Bei Paulus finden wir ein spätes Echo. Eine Verfangenheit. Eine kritische Selbstbeobachtung. Sie kennt gut und böse bereits, kennt die Versuchung des Überstiegs, das Lauern vor der Tür. Und stellt fest, dass der Wille schwach ist.

„Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ (Röm 7,18)

Paulus schreibt allerdings aus einem anderen, einem neuen Kontext.

Er schreibt aus einer Beziehung heraus.

Er weiß sich Gott nahe, weiß sich geborgen und neu in Jesus Christus, dem Anfänger eines Neuen, einer neuen Beziehung, einer Heilung.

Und in ihm ist Freiheit nah. Freiheit vom Hang, vom Zwang zum Bösen. „Erlöse uns von dem Bösen“!

Freiheit, weil die Macht des Bösen gebrochen ist, gebrochen am Kreuz durch eine Liebe, größer als unser Drang zur Selbstverwirklichung, weiter als die Reichweite des Bösen.

Hier, nur hier ist Freiheit – vom Bösen

 

Gebet (Klaus Hamburger)

Lebendiger Gott,

wir sind in dieser Stunde bei den Menschen in der Ukraine

und überall sonst auf der Erde,

die von anderen bedroht, bedrängt,

verwundet oder getötet werden.

 

Wer auch immer,

ob getauft oder nicht, ob gläubig oder nicht,

Hilflosen Gewalt antut oder andere dazu nötigt,

ihrerseits gewalttätig zu werden,

tut dir, dem Gott des Lebens und nicht des Todes, Gewalt an.

Er verhöhnt dein Ja zu allen Menschen,

für das dein Sohn Jesus Christus sein Leben gegeben hat,

in deinem heiligen Geist, und nicht in irgendeinem Ungeist.

 

Gott allen Erbarmens,

du legst uns die Freiheit nahe,

als Menschen aller Länder in Frieden zu leben.

 

Beschämt stellen wir fest, dass wir,

ohne uns auf einen Verführer herausreden zu können,

dies nicht ernst genug nehmen, ein weiteres Mal,

dass wir uns allzu träge dafür frei machen,

über Unseresgleichen hinaus zu blicken und  dorthin zu gehen,

wo Menschen sich gedemütigt sehen und fühlen,

und denen ins Gewissen zu reden,

die nicht wahrhaben wollen,

dass von einem Ende der Erde zum anderen

alle in derselben Würde angenommen und geachtet werden wollen,

dass die Würde der Menschen so unantastbar wie unteilbar ist.

 

Dein Name sei geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe.

 

Du hast uns für die ganze Welt erschaffen

und nicht für eine Teilkultur, eine Teilreligion oder eine Einflusszone

und hast so deinen Namen vor allen, für alle geheiligt.

 

Dein Reich hat keiner eigenmächtig und selbstherrlich zu errichten,

und schon gar nicht den Segen in deinem Namen dazu zu verwerten.

In offenen, freiheitlichen, vorläufigen Verhältnissen

können wir dein Reich voll Vertrauen erwarten,

schon in Spuren erkennen und noch schmerzlich vermissen.

 

Dein Wille war, dass dein eigener Sohn eher getötet wurde,

als dass er dich, seinen Vater, aufruft die Peiniger zu beseitigen.

 

Für das alles danken wir dir, denn in dieser, in deiner Weite

findet unser Herz Heilung, Hoffnung und Kraft zum Widerstand,

damit nicht blindlings weiter Wunden geschlagen werden.

 

Amen.

 

2022-05-04T09:39:40+02:0011/04/2022|Kategorien: Spiritualität und Gesellschaft|Tags: , |
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